Heute teile ich ein paar sehr persönliche Zeilen mit euch. Immer wieder erreichen mich Nachrichten von Hebammenschülerinnen oder Schülerin, die überlegen, ob sie die Ausbildung zur Hebamme beginnen. Oder abbrechen. Und fast immer sind es ähnliche Sorgen und Fragen. Ob ich von der Ausbildung mit den „schlechten“ Zukunftsaussichten abraten würde. Ob es überhaupt noch Sinn macht die Ausbildung unter den aktuellen Berufsbedingungen zu machen. Ob Hebamme nicht en aussterbender Beruf ist. Oder auch, ob ich die Ausbildung noch ein mal machen würde. Heute habe ich eine Antwort geschrieben, die ich mit euch allen teilen möchte.
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Liebe Hebammenschülerin.
Ich schreibe dir heute weil ich mich gut an meine Ausbildungszeit erinnere und mich sehr verbunden mit dir fühle.
Du lernst einen wundervollen Beruf. Das weißt du natürlich, denn sonst würdest du die täglichen Strapazen die dieser Beruf mit sich bringt nicht in Kauf nehmen. Doch dieser wunderbare Beruf hat seine Schattenseiten. Die gab es immer schon. Seitdem es Hebammen gibt. Auch das weißt du natürlich. Aber die aktuelles Situation der Hebammen in Deutschland ist berufspolitisch sehr zugespitzt. Du wirst ständig damit konfrontiert. Weil dir immer wieder die Frage gestellt wird, ob du diesen Beruf unter diesen Umständen w i r k l i c h lernen möchtest. Ich kann nur erahnen, welch zusätzliche Belastung das für dich ist. Auch als ich Hebammenschülerin war, gab es die, die mir abrieten diesen „zukunftslosen“ Beruf zu lernen. Dabei war die Situation vor 10 Jahren noch nicht mit der jetzigen Situation zu vergleichen.
Du fragst mich, ob auch ich dir davon abraten würde den Beruf zu lernen. Und ich bin da hin und her gerissen. Wenn ich mir nur die harten Fakten ansehe, also die Belastung die die Kolleginnen in den Kreißsälen erleiden, die bürokratischen Hürden (Qualitätsmanagement!) die freiberuflichen Hebammen nehmen müssen und immer das Ungleichgewicht zwischen Verantwortung, Belastung und Können und der Bezahlung, dann müsste ich dir von der Ausbildung abraten.
Doch nur auf Fakten zu schauen liegt mir nicht. Und so sehe ich da noch so viel mehr. Für mich war der Beruf nie ein Brotjob. Für mich ist der Beruf Berufung. Und die Kolleginnen, die ich kenne, die sich glücklich schätzen Hebammen zu sein, die empfinden es ähnlich. Hebamme zu sein bedeutet für mich mehr als nur im Kreißsaal Dienste zu machen, Familien im Wochenbett zu betreuen oder Kurse zu geben. Für mich bedeutet unser Beruf etwas weiter zu tragen. Gutes in junge Familien zu tragen und junge Mütter auf ihrem Weg zu begleiten. Neugeborene auf dieser Welt zu begrüßen und ihr Umfeld durch unsere Arbeit zu verändern. All dies ist möglich als Hebamme. Sowohl im Kreißsaal als auch als freiberufliche Hebamme, die nur „Kurse“ gibt oder gar als bloggende Hebamme. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Hebammen viele Möglichkeiten haben zu arbeiten. In all den klassischen Feldern der Hebammenarbeit und auch in eher ferneren Feldern. So wurde mir nach meiner Ausbildung eine Stelle in einer Beratungsstelle geschaffen, in der ich Frauen und Familien in schwierigen Situationen begleiten sollte. (Ich habe die Stelle nicht angenommen, weil mir mein eigenes Kind dazwischen kam 😉 )
Ich glaube also nicht, dass der Beruf der Hebamme zukunftslos ist. Viel mehr glaube ich, dass uns so viele Möglichkeiten offen stehen. Ich kann auch nicht zustimmen, dass man als Hebamme kein Geld verdienen kann. Ich glaube, dass jede Hebamme die Möglichkeit hat auch clevere Geschäftsfrau zu werden (und finde daran auch nichts verwerfliches – damit meine ich nicht, dass ich alle „Geschäftsmodelle“ von Kolleginnen ok finde…). Dennoch hoffe und plädiere ich natürlich auch für weitreichende gesundheitspolitische Veränderungen und Verbesserungen der Hebammensituation. Aber davon abgesehen gibt es einfach auch immer individuelle Lösungen und Möglichkeiten.
Versteh mich nicht falsch, ich hoffe sehr auf eine baldige Veränderung der Hebammensituation und darauf, dass die klassischen Hebammenfelder bald wieder attraktiver für uns werden. Also die Belastungen sinken, die Versicherungsproblematik sich entspannt und der Klinikjob besser mit der Familie verbunden werden kann. Aber bis das so weit ist, gibt es Wege.
Und wir Hebammen werden gebraucht. Jetzt mehr denn je. Du und ich und all unsere Kolleginnen. Jede ist wichtig und wertvoll. Ganz egal was und wie viel sie arbeitet. Ich begegne immer wieder Frauen, die so unglaublich dankbar für „ihre“ Hebamme sind. Frauen, die sagen, dass sie ohne ihre Hebamme einen ganz anderen Start in das Leben als Familie gehabt hätten.
DU wirst gebraucht. Du bist WICHTIG. Lass dich nicht irritieren. Der Weg ist steinig. Besonders der Anfang. Die ersten 3 Jahre der Ausbildung. Aber, du wirst entlohnt werden. Und schon jetzt wirst du gebraucht. Von jeder Frau, die du ein Stück auf ihrem Weg begleiten kannst. Auch wenn es nur ein paar Stunden sind, die du für sie da sein kannst. Mit deiner hoffnungsvollen und liebevollen Haltung dem Leben und dem Start ins Leben gegenüber bist du Bereicherung für die Menschen, die dir anvertraut werden.
Weißt du, ich möchte dir auch noch eine gute Aussicht mitgeben: die Ausbildung ist nur ein Anfang. Ausgelernt haben wir nach dem Examen noch lange nicht. Ich glaube, dass ich das meiste was ich weiß und bin außerhalb der Ausbildung gelernt habe. Am meisten haben mich die Begegnung mit Kolleginnen geformt und geprägt. Schon während der Ausbildung habe ich meine Urlaube bei einer Hausgeburtshebamme verbracht. Durch sie wurde mir so viel klar, was mir im Rahmen der Ausbildung nicht verständlich war. Genauso wie mich die Familien, die ich begleiten durfte immer wieder inspiriert haben und mich so viel gelehrt haben.
Höre also bitte nicht auf zu suchen und dich inspirieren zu lassen. Such dir Kolleginnen, die dir gut tun und sauge all das Gute auf. Sei der Verbundenheit und Dankbarkeit die dir die betreuten Familien entgegen bringen offen und ziehe deine Kraft daraus. Es liegt Gutes vor dir. Sehr viel Gutes.
Du wirst gebraucht.
Alles Liebe, deine Jule
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Dieser Brief geht an eine Hebammenschülerin. An alle Hebammenschülerinnen.
Falls du Mutter oder Vater bist und magst, fühle dich bitte frei auch ein paar Worte an Hebammenschülerinnen zu schreiben. Wie war für dich die Betreuung durch deine Hebamme? Und wie ist die Vortellung, dass es immer weniger Hebammen gibt? Ich freue mich über ein bisschen #hebammenschülerinnensupport
Schöner Brief. Eins muss ich aber loswerden: der Plural von Kollegin ist Kolleginnen.
Liebe Grüße
❤️☺️
Und von Schülerin… Schülerinnen 😉
❤️☺️?
Liebe Jule,
Du sprichst eigentlich genau das an, was mich beschäftigt. Denn ich mache gerade eine Ausbildung zur Gesundheits-und Krankenpflegerin (bin noch im ersten Jahr) mit Kleinkind übrigens, aber interessiere mich auch sehr für die Inhalte der “Hebammerei”. Nach dem Examen stünden mir in der Pflege natürlich viele Wege offen, aber ich habe schon häufiger überlegt ob ich die Hebammen Ausbildung nicht hintendran hänge. Bei der derzeitigen Situation und mit DEN Aussichten würde ich es allerdings nicht machen.
Schade, dass die Lage für Hebammen im Moment so schlecht ist.
Umso besser finde ich es, dass du Hebammenschülern (/-innen) und Interessierten Mut machst!
Ganz liebe herzliche Grüße aus Ostfriesland 🙂
Liebe Jule,
Ich bin Hebammenschülerin im 3. Jahr ( habe auch 2 Buben zu Hause) und dein Brief war sehr motivierend für mich. Vielen Dank. In dem Haus in dem ich meine Ausbildung mache, ist der Umgang gegenpber Hebammen sehr respektlos und von oben herab. So manches Mal habe ich darüber nachgedacht, alles hinzuschmeißen. Aber die Arbeit mit Frauen und später mit ihren Kindern ist nichtsdestotrotz großartig.
Inspiration durch Kolleginnen und vorallem Team Arbeit sind vermutlich die wichtigsten Mittel um unseren Beruf auch mit eigener Familie wieder unbelastender und vielleicht auch lukrativer zu gestalten?!
Ich wünsche es uns von ganzem Herzen. ??
Alles Liebe dir, Jule.
Liebe Hebammenschülerinnen,
ich habe zwei tolle Töchter in einem großartigen Krankenhaus gebären dürfen (ein babyfreundliches übrigens) – und ich werde die Hebammen, die mich begleitet haben, nie vergessen. Auch nicht die Schülerinnen, die dabei waren. Genauso wenig wie die Hebammen, die auf der Wochenbettstation bei der Baby- und Mamipflege geholfen haben. Ihr Enthusiasmus für das Wunder der Geburt, ihre Gelassenheit unter der Geburt und ihr Vermögen, sich ganz und gar auf mich und meine Bedürfnisse einzulassen und für mich zu kämpfen (ganz konkret: bei der Bekämpfung einer Mastitis) haben mich unglaublich unterstützt.
Jaaaa!!! Ich manchmal so gerne selbst Hebamme geworden und bin so dankbar für die Frauen die mir bei meinen zwei Kindern zur Seite standen! Über eine von ihnen habe ich hier etwas geschrieben ? https://www.google.de/amp/s/honigdusche.com/2016/11/07/w-o-c-h-e-n-b-e-t-t/amp/?client=safari
Liebe Hebammenschülerinnen,
wegen der vertrauensvollen, fürsorglichen Art der Hebammen und der heimeligen Gestaltung wollte ich im Geburtshaus entbinden (schlussendlich musste ich zwar wegen Wehenschwäche doch ins Spital, aber dafür bin ich gleich 6 Stunden nach der Geburt mit Baby und Mann zurück ins Geburtshaus und wir haben als Familie die ersten vier Tage dort verbracht). Ich hätte mir wirklich keinen besseren Ort für den Start ins Familienleben aussuchen oder wünschen können. Niemals (niemals!) zuvor hab ich so viel liebevolle Fürsorge und Unterstützung von Frauen erfahren, wie an diesem Ort, der wie eine helle, flauschige Wolke – fernab vom lauten, hektischen „Draußen“ für mich war. Ich werde nie vergessen, wie sich die Hebammen so einfühlsam bei der Geburt und danach um mich gekümmert haben. Wie geborgen und wie gut ich mich und mein Baby in diesem Haus der Hebammen aufgehoben gefühlt habe. Ein richtiger Herzensort von Frauen für Frauen und ihre Familien. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, dass ich Tage und Wochen nach der Geburt daran denken musste, was für einen wunderschönen, besonderen Beruf diese Frauen haben.
Gerne würde ich noch den Hinweis machen, dass auch in (wahrscheinlich gar nicht so wenigen) anderen Berufen schon länger schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Obwohl ich vor der Geburt meiner Tochter in einer ganz anderen Branche gearbeitet habe, habe ich in der Arbeitswelt auch unerträgliche Dinge erlebt –wirklich schlechter Bezahlung (ich würde sogar von Ausbeute sprechen), systematischer Unterbesetzung, unbezahlten Mehrstunden, unbezahlten Pflichtveranstaltungen in der Freizeit, bis hinzu diktatorischen Zuständen und Machtspielchen in der Unternehmensführung bzw. –kultur.
Ob das Ausweichen auf einen anderen Beruf wirklich immer die „bessere“ Lösung ist, möchte ich mit diesem Hinweis in Frage stellen.
Liebe Hebammenschülerinnen und – Schüler,
wir Eltern brauchen Euch! Und wenn Ihr Euch zu diesem Beruf berufen fühlt, dann macht es! Ich bin so dankbar für die wunderbare Unterstützung der Hebammen, die ich bisher kennen lernen durfte. Von der Hebamme, die zu mir nach Hause kam, obwohl ihr Kalender mehr als voll war, die Hebammen im Krankenhaus, die mir so viel Mut gaben, mich bestärkten, mir Ängste nehmen konnten. Die Hebammen, die uns so toll während der Geburten unserer Kinder zur Seite standen. Wir wären ohne sie so aufgeschmissen gewesen! Ich bin unglaublich dankbar, solch tollen Menschen begegnet zu sein. Wir Eltern brauchen Euch so sehr!
Liebe Grüße
Judith
Hallo,
als Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, die sich in ihrem geburtshilflichen und gynäkologischen Einsatz in das Hebammenwesen verliebt hat, stellt sich für mich auch die Frage: Abbrechen und gleichein duales Studium zur Hebamme beginnen oder die Krankenpflege durchziehen?
Momentan bewerbe ich mich für eine Ausbildungsstelle, nur rechne ich mir (selbst mit meinem Abitur) nur geringe Chancen aus, da es einfach sooo wenige Plätze gibt. Aber warum? Wenn doch der Beruf so unattraktiv ist, warum ist es dann so schwer, an einen Ausbildungsplatz zu kommen?
LG
Liebe Jule,
ich habe deinen Blog/ Beitrag gerade erst entdeckt.
Danke, für diese wunderbaren Worte. Ich habe im Oktober letzten Jahres meine Ausbildung zur Hebamme begonnen und werde täglich darin bestätigt, dass Hebamme für mich auch nicht nur der Beruf, sondern meine Berufung sein wird.
Ich bin mir so sicher, dass sich in den nächsten Jahren etwas an der jetzigen Hebammensituation verändern wird, wenn wir nicht aufgeben werden.
Alles liebe, du bist mir unglaublich sympathisch
Leonie aus Münster